[Empfänger:] Bayerisches Verwaltungsgericht Regensburg Haidplatz 1 93047 Regensburg 28.10.2003 Vollzug der Straßenverkehrsordnung hier: Widerspruchsbescheid der Regierung der Oberpfalz betreffend die Anordnung von Radwegebenutzungspflichten durch die Stadt Regensburg zwischen den Stadtteilen Graß - Leoprechting - Oberisling vom 24.09.2003, zugestellt am 26.09.2003 Sehr geehrte Damen und Herren, hiermit erhebe ich K L A G E gegen die Stadt Regensburg - vertreten durch den Oberbürgermeister, Herrn Hans Schaidinger - Rathausplatz 1, 93047 Regensburg mit folgendem Antrag: Die Radwegebenutzungspflichten an den straßenbegleitenden kombinierten Fuß- und Radwegen in Regensburg zwischen den Ortsteilen Graß, Leoprechting und Oberisling werden aufgehoben. Hilfsweise beantrage ich die Feststellung der Rechtswidrigkeit der entsprechenden Verkehrsanordnungen der Stadt Regensburg vom 08.09.1987 und vom 13.12.2002 sowie die Verpflichtung der Stadt Regensburg, diese aufzuheben. Hilfsweise beantrage ich, die Stadt Regensburg zu verpflichten, mich unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. BEGRÜNDUNG 1 Für die Sachverhaltsdarstellung nehme ich Bezug auf mein Widerspruchsschreiben an das Amt für öffentliche Ordnung und Straßenverkehr der Stadt Regensburg vom 08.01.2003, ergänzt durch mein Schreiben vom 01.07.2003 an die Regierung der Oberpfalz und die beigefügten Fotoaufnahmen von einzelnen Punkten der streitgegenständlichen Wegestrecke, sowie Studien, die die spezifischen Gefahren abgesetzter Radwege belegen. Falls dem Gericht diese Sachverhaltsdarstellung ergänzungsbedürftig erscheint, bitte ich um entsprechende Hinweise. Falls die Beklagte entscheidungsrelevante Tatsachen, insbesondere zu den örtlichen Gegebenheiten bestreiten sollte, beantrage ich, ihr die Vorlage dort sicher vorhandener Planunterlagen oder sonstiger Aufzeichnungen aufzugeben, hilfsweise eine Ortseinsicht durchzuführen. 2 Die angefochtenen Verkehrsanordnungen sind rechtswidrig. Sie entbehren zum einen der erforderlichen Rechtsgrundlage nach § 45 Abs. 1 und § 2 Abs.4 StVO in Verbindung mit den einschlägigen Bestimmungen der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur StVO (VwV) (siehe 2.1). Zum anderen verstoßen sie gegen den generellen Anordnungsvorbehalt nach § 39 Abs. 1 und § 45 Abs. 9 StVO (siehe 2.2). 2.1 Die Anordnungen können nicht auf die eingangs genannten einzig einschlägigen Vorschriften gestützt werden. Es fehlt sowohl an der Erforderlichkeit aus Gründen der Verkehrssicherheit (Nr. II, S. 1 VwV zu § 2 Abs. 4 S. 2 StVO) als auch am Vorliegen der baulichen Anforderungen für Radwege allgemein (Nr. II VwV zu § 2 Abs. 4 S. 2 StVO) sowie für gemeinsame Rad- und Fußwege (Nr. II, Abs. 2 a) bb) VwV zu § 2 Abs. 4 S. 2 StVO) und für in Gegenrichtung freigegebene Radwege (Nr. II VwV zu § 2 Abs. 4 S. 3 StVO) im Speziellen. Ein Erfordernis der genannten Art zur Unterbindung des Radverkehrs auf der Fahrbahn kann nicht schon aus deren Breite und tatsächlicher Verkehrsbelastung hergeleitet werden. Diesen Gegebenheiten hat die Verkehrsbehörde mit der sachgerechten Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit auf 60 km/h Rechnung getragen. Die in der Begründung des Widerspruchbescheids zentimetergenau dargestellten Überholszenarien gehen unbelegt und zu Unrecht von der Prämisse aus, dass solche Situationen zwingend eine "Gefahrenlage" begründen, der mit einem Ausschluss von der Fahrbahnmitbenutzung für eine bestimmte Verkehrsart begegnet werden muss. Das ist aber bei dem behaupteten Verkehrsaufkommen von 3000 Kraftfahrzeugen pro Tag sicher nicht der Fall. Der Umgang mit langsameren Verkehrsteilnehmern (wozu auch Mofas und der auf diesen Streckenabschnitten relativ häufig anzutreffende landwirtschaftliche Verkehr zählen) muss und kann von jedem Verkehrsteilnehmer erwartet werden, zumal die Streckenabschnitte mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 60 km/h mit etwa 400 m (zwischen Graß und Leoprechting) bzw. etwa 500 m (zwischen Leoprechting und Oberisling) sehr kurz sind und von längeren Tempo 30-Zonen (Graß und Leoprechting: je ca. 600 m, Oberisling ca. 1000 m) eingeschlossen und unterbrochen werden. Überdies sind aufgrund der Übersichtlichkeit und Einsehbarkeit dieser Streckenabschnitte sowie der nächtlichen Beleuchtung, die sich entgegen der Darstellung der städtischen Behörde nicht nur auf den fahrbahnbegleitenden Weg sondern in gleichem Maß auf die Fahrbahn erstreckt, keinerlei Gefahrenmomente erkennbar. Die jeweils nur etwa einen halben Kilometer langen anbaufreien Streckenabschnitte, die Straßenbreite, die geltende Geschwindigkeitsbeschränkung und die Lage am Stadtrand charakterisieren die Straße von sich aus schon als eine solche für kleinräumige Verbindungen und Anschlüsse an das übergeordnete Verkehrsnetz. Diese Straßenabschnitte sind insofern ihrem Wesen nach innerstädtischen Verbindungsstrecken vergleichbar wie etwa der Ziegetsdorfer Straße oder der Prüfeninger Schlossstraße. Hier muss und wird es ja auch in der Regel für Kraftfahrzeugführer eine Selbstverständlichkeit sein, langsameren Fahrverkehr, auch einspurigen nicht immer und überall sofort zügig überholen zu können, sondern dafür wegen Gegenverkehrs erforderlichenfalls kurz eine Temporeduzierung in Kauf zu nehmen. Eine überschlagsmäßige Berechnung ergibt ferner mit einer Verkehrsbelastung von 3000 Kfz pro Tag bei einem Überholvorgang eine Begegnungswahrscheinlichkeit von nicht mehr als 10% für Spitzenverkehrszeiten und von typischerweise 3-5% außerhalb der Verkehrsspitzen. Bei der auf diesen Streckenabschnitten herrschenden Radverkehrsdichte ergäben sich daher nur einzelne Überholvorgänge pro Tag, bei denen Gegenverkehr berücksichtigt werden müsste. Überholen ist jedoch ein gewöhnlicher Vorgang im Straßenverkehr, dem - nach Maßgabe von §1 StVO und durch die Bestimmungen des § 5 StVO geregelt - keine besondere Gefährdung ausgeht. Im übrigen ist es sehr wahrscheinlich, dass die heutige Verkehrsbelastung noch unter der behaupteten liegt, da diese - nach Auskunft des die Verkehrszählungen durchführenden Stadtplanungsamtes - noch vor dem Bau der Franz-Josef-Strauß-Allee, also einer leistungsfähigen Umfahrungsstraße in nächster Entfernung parallel zur streitgegenständlichen Ortsteilverbindung über die Brunn-, Liebhart- und Rauberstraße, erhoben wurde. Nach Modellrechnungen im Auftrag des Stadtplanungsamtes verringert die vorliegende Umgehungsmöglichkeit die Verkehrsbelastung um etwa 30%. Eine Verkehrsbelastung in Höhe der behaupteten 3000 Kfz pro Tag wäre zudem als sehr geringes Verkehrsaufkommen zu werten, gerade auch im Hinblick auf deutlich stärker frequentierte Strecken im Stadtgebiet von Regensburg, an denen der Radverkehr nicht auf einem benutzungspflichtigen Radweg geführt wird. Falls die aktuelle Belastung entscheidungserheblich sein und deren Größe mit "unter 3000 Kfz pro Tag" bestritten werden sollte, beantrage ich vorsorglich, der Beklagten eine neue Erhebung aufzuerlegen. Der kombinierte Fuß- und Radweg (mit Benutzungspflicht als linksseitiger Radweg in Gegenrichtung) weist zwischen Leoprechting und Oberisling auf der gesamten Länge mit einer Breite von 1,7 bis 1,8 m nicht das erforderliche Mindestmaß von 2 m auf. Bäume und Sträucher verringern auf einem Teil der Strecke die dem Verkehr zur Verfügung stehende Wegbreite zusätzlich. Nr. II Abs. 3 VwV zu § 2 Abs. 4 S. 3 StVO erlaubt jedoch kein Unterschreiten dieser Mindestbreite. Für die Verhältnisse im Bereich der Einmündung der Lieperkingstraße in die Liebhart-/Rauberstraße wird auf die Ausführungen in der Widerspruchsbegründung und auf die vorgelegten Fotos Bezug genommen (zur Frage der Sichtbeziehung s. Nr. II, Abs. 3, S. 2 der VwV zu § 2 Abs. 4 S. 3 StVO). Die nachträglich dort aufgebrachte Furt für den Radverkehr ändert nichts am Mangel der notwendigen Sichtbeziehungen. Hinzuweisen ist darüber hinaus auf die durch die Benutzungspflicht verursachten bzw. verschärften Gefährdungspotentiale für Fußgänger an der Bushaltestelle Lieperkingstraße und an der Kindertagesstätte in Oberisling, die in die Gesamtabwägung für den mit der Benutzungspflicht anzustrebenden Sicherheitsgewinn mit einbezogen werden müssen. Dazu gehört schließlich auch bei einseitig angelegten Radwegen für beide Richtungen das deutlich erhöhte Gefährdungspotential für den links geführten Radverkehr bei den zwangsläufigen Überquerungen der Fahrbahn beim Einfahren und Verlassen des benutzungspflichtigen Weges. Mindestens sehr sonderbar mutet die im Widerspruchsbescheid vertretene Auffassung der Regierung der Oberpfalz als Fach- und Rechtsaufsichtsbehörde der Beklagten an, die Aufrechterhaltung der Benutzungspflicht innerhalb der Tempo 30-Zone beträfe nur deren Rechtmäßigkeit und nicht die Benutzungspflichtigkeit eines Radwegs innerhalb der Zone. § 45 Abs. 1c S. 2 StVO kann gar nicht anders verstanden werden als "Entweder-Oder". Das bedeutet aber, dass die Ausweisung zur Tempo 30-Zone zwingend die Selbstverpflichtung der ja für beide Regelungen allein zuständigen Behörde auslöst, die dort ausnahmslos nicht zulässige Benutzungspflicht aufzuheben. Unter Abwägung von Verkehrssicherheitsaspekten ist die Ausweisung als Tempo30-Zone in jedem Fall der Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht vorzuziehen. Für die hier vertretenen Rechtsauffassungen wird verwiesen auf die dazu ergangene aktuelle Rechtsprechung in den Urteilen des VG Berlin vom 28.09.2000 (VG 27 A 206.99) und zwei vom 17.07.2003 (VG 27 A 241.01 und VG 27 A 11.02), des VG Hamburg vom 29.11.2001 (20 VG 1279/2001) und vom 28.01.2002 (5 VG 4258/2000) und des VG Hannover vom 23.07.2003 (11 A 5004/01). Die Verbindlichkeit der Regelungen der VwV zur StVO wird mit Hinweis auf Art. 3 Satz 1 GG (Schutz vor willkürlichen Eingriffen in persönliche Rechte, Gebot des Vertrauensschutzes) festgestellt. Insbesondere die zuletzt genannte Entscheidung betrifft einen sehr ähnlich gelagerten Sachverhalt, die rechtliche Argumentation ist zum großen Teil übertragbar. 2.2 Der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Anordnungen steht außerdem die Restriktionsnorm nach § 39 Abs. 1 und insbesondere nach § 45 Abs. 9 StVO entgegen, der alle verkehrsrechtlichen Dauerverwaltungsakte dieser Art unterliegen. Wie oben schon dargelegt kann im vorliegenden Fall - bei Abwägung aller Gesichtspunkte - nicht von "besonderen Umständen" ausgegangen werden, deretwegen die Benutzungspflichten "zwingend geboten" sind. Nach dieser erst 1997 zusammen mit den Neuerungen für den Radverkehr - gerade auch in puncto Benutzungspflicht - eingeführten Bestimmung genügt es eben nicht mehr, wenn die Verkehrsbehörde "Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs" (Satz 2) für "zumutbar" (so am Ende von 3.1.2 der Begründung des Widerspruchsbescheids der Regierung der Oberpfalz) hält. Sie muss vielmehr ganz konkret darlegen und nachweisen, warum gerade hier "eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt". Das kann hier aufgrund der schon dargestellten Sachlage und Umstände nicht bejaht werden. Die Darstellung im Widerspruchsbescheid stützt sich vielmehr auf abstrakte Überlegungen, die jedoch den verkehrssicherheitstechnischen Hintergrund unbegründet lassen. Diese Rechtsauffassung wird auch vertreten in den genannten VG-Entscheidungen. Dort werden regelmäßig objektive Belege für eine erhebliche Verringerung der Gefahrenlage durch eine Radwegebenutzungspflicht an den betreffenden Streckenabschnitten nach Maßgabe des § 45 Abs. 9 StVO gefordert. Sehr fundiert wird dies dargestellt und erläutert von RA Dr.Dietmar Kettler in dem Beitrag "§ 45 IX StVO - ein übersehener Paragraf?" in NVZ 2002, Heft 02, S. 57ff (in Bezug auf die Radwegebenutzungspflicht insbesondere S. 61f). Mit freundlichen Grüßen Dr. Klaus Wörle Anlage: Kopien des bisherigen Schriftverkehrs: Widerspruch vom 08.01.2003 an das Amt für öffentliche Ordnung und Straßenverkehr der Stadt Regensburg Schreiben des Amts für öffentliche Ordnung und Straßenverkehr der Stadt Regensburg vom 11.06.2003 Schreiben an die Regierung der Oberpfalz vom 01.07.2003 als Ergänzung zu genanntem Widerspruch mit Bildanhang Widerspruchsbescheid der Regierung der Oberpfalz vom 24.09.2003 Studien zur Unfallhäufigkeit bei Benutzung von Radwegen im Gegensatz zur Fahrbahn (Referenzen und Auszüge) VwV zu § 2, Abs. 4 StVO NVZ 2002, Heft 2, S. 57ff